“Die Energieversorger werden zunehmend digital” — ein Studienfazit als Einstieg in diesen Text, das beim Autor für mindestens eine gehobene Augenbraue sorgt. Jahrelang arbeiteten sich die meisten KMUs der Branche mehr oder weniger erfolgreich um die Digitalisierung herum; wenn überhaupt etwas modernisiert oder implementiert wurde, dann handelte es sich häufig um halbmotivierte Kleinprojekte und Testballons, bspw. um ein neues Kundenportal oder eine Stadtwerke-App — allesamt Produkte, die von Kundenseite nur selten dauerhaft angenommen wurden, da sie wahren Nutzer-Benefit zumeist vermissen ließen und den Anwendungen und Apps aus anderen Branchen technisch, visuell und in Sachen Gamification oft um mehrere Jahre hinterherhinkten.
Aber genug der Schelte — wie gesagt gibt es ja nun Positives zu vermelden: Die aktuelle Digital@EVU-Studie, an der mehr als 120 Energieversorgungsunternehmen aller Wertschöpfungsstufen und Größenklassen teilgenommen haben, zeigt auf: “77 Prozent haben bereits oder planen eine Digitalisierungsstrategie. Über 85 Prozent erwarten eine Steigerung des Digitalisierungsbudgets in den kommenden Jahren.” — und besonders wichtig: “Hingegen nur 18 Prozent sind momentan zufrieden mit der Digitalisierung in ihrem Unternehmen.”
Die letztgenannte Zahl ist von besonderer Bedeutung, da sie aufzeigt, dass die Chancen und die Notwendigkeit der Digitalisierung im Energiebereich wohl endlich erkannt und akzeptiert wurden. Noch vor wenigen Jahren waren EVUs mit digitalen Produkten in der Regel kaum aus der Reserve zu locken. Doch die durch die Energiewende immer größer werdenden Datenströme (Stichworte: dezentrale Erzeugung, Services für E-Mobilität, Blockchain, Messstellenbetrieb sowie Messdienstleistungen) führten zum erhofften Umdenken. Eine Entwicklung, die selbstverständlich positiv zu bewerten ist, die — und das muss man allerdings ebenso anmerken — letztlich allerdings eher aus der Not bzw. Notwendigkeit und damit keineswegs aus reiner Innovationsbestrebung und Zukunftsgewandtheit erwachsen ist.
Dass es solchen Innovationswillen in der Branche (zumindest im Bereich der Top-Player) dennoch gibt, lässt sich derzeit sehr anschaulich u.a. bei E.ON beobachten. Der künftige E.ON-Geschäftsführer Leonhard Birnbaum kündigte bereits seine Bestrebungen hinsichtlich der Digitalisierung des Unternehmens an: “Ich möchte mit der neuen E.ON Brücken bauen für Partnerschaften. Vom kommunalen Stadtwerk bis zu großen Digitalunternehmen — die Transformation der Energiewirtschaft ist eine Aufgabe, die wir nur gemeinsam lösen werden.” Es bleibt abzuwarten und zu hoffen, dass sich Äußerungen wie diese als brancheninterne Synergieeffekte auswirken und die Digitalisierung der Energiewirtschaft somit vom Stigma des beständigen Hinterherhinkens befreien können.
Quellen:
https://hlk.co.at/a/energieversorger-und-die-digitalisierung-es-geht-nicht-immer-alles
https://www.itespresso.de/2021/01/21/kuenstliche-intelligenz-fuer-die-digitale-energiewende/
https://www.boerse-online.de/nachrichten/aktien/neuer-e-on-chef-setzt-auf-partnerschaften-und-digitalisierung-1030239280